Steeve M. Meyner
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3.Kapitel

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Hamburg - Donnerstag, zeitig am Morgen

Juri Krasnikov hatte fast die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Nachdem Loreen am Nachmittag nach der Auseinandersetzung mit ihrem gemeinsamen Chef kopfüber aus dem Büro gerannt war, blieb sie spurlos verschwunden. Er hatte zwar versucht, ihr noch ein Stückchen hinterher zu laufen, doch da sie mit dem Fahrrad wesentlich schneller unterwegs sein konnte, hatte sie ihn recht bald abgehängt, sodass er wieder zur Firma zurückgekehrt war.

Schon während der Arbeit dachte er immer wieder daran, sie auf ihrem Handy anzurufen. Doch er hätte noch nicht einmal gewusst, was er ihr sagen sollte, falls sie rangehen würde. Außerdem hatte er ihre private Handynummer ja auch nicht von ihr persönlich bekommen. Ganz sicher würde sie dann denken, dass er ihr nachspionierte.

Als er am Abend auf der Heimfahrt im Radio in den Nachrichten von dem Brand in der Mainstraße hörte, stockte ihm der Atem - genau in dieser Straße wohnte Loreen. Schon öfters war er dort mit dem Auto vorbeigefahren und einmal hatte Juri sogar für über eine Stunde am Straßenrand auf der gegenüberliegenden Straßenseite gestanden und zu ihrer Wohnung hinüber geblickt. Wie gerne wäre er einfach ausgestiegen und hätte sie zum Essen oder irgendetwas anderem eingeladen! Aber seine Beine versagten ihm einfach den Dienst. Außerdem hätte sie ihm, dem 'Russen', wie ihn alle außer Loreen auf Arbeit nannten, ganz sicher sowieso einen Korb gegeben. Also war er damals wieder nach Hause gefahren, ohne bei ihr geklingelt zu haben.

Auch auf Arbeit hatte er sie niemals persönlich angesprochen. Die Anderen hätten ihm wahrscheinlich das Leben zur Hölle gemacht - noch mehr als jetzt schon. Nichtsdestotrotz hatte er sie beobachtet - dank der kleinen Webcam, die sich direkt über dem Display ihres Laptops befand! Für Juri war es keine allzu große Herausforderung gewesen, sich Zugang zu ihrem Computer zu verschaffen und die Daten der Kamera aus der Ferne auszulesen, obwohl es gar nicht ganz ohne war, die Verbindung so zu tarnen, dass Loreen und vor allem die Kollegen von der IT nichts davon mitbekamen. Aber er kannte da so einige Geheimnisse und Tricks ...

Als er von dem Feuer hörte, fuhr Juri gar nicht erst nach Hause, sondern er war sofort umgekehrt und hatte sich zur Mainstraße aufgemacht. Aufgrund des dichten Verkehrs hatte es lange gedauert, bis er endlich dort ankam. Aber die Mainstraße selbst und auch einige der Nebenstraßen wurden von der Polizei komplett abgeriegelt, sodass er schließlich aufgegeben hatte und doch erst einmal nach Hause gefahren war.

Als er dann aber in den Lokalnachrichten die ersten Bilder sah, setzte ihm das Herz fast aus. Es war tatsächlich Loreens Wohnung, die in Flammen stand und bei der die Wucht der Explosion die halbe Außenfassade herausgerissen hatte. Juri sprang auf und setzte sich wieder hin, nur um in der nächsten Sekunde erneut aufzuspringen. Unmöglich konnte er jetzt hier ruhig sitzen bleiben.

Hunderte Gedanken schwirrten gleichzeitig durch seinen Kopf. War einfach ein Unglück geschehen? Oder hatte sie sich vielleicht vor Verzweiflung selbst etwas angetan? Möglicherweise hatte ja auch jemand anderes seine schmutzigen Finger im Spiel? Juri plagte da so eine dunkle Vorahnung. Das Wichtigste war jedoch erst einmal, ob sie wohlauf oder womöglich verletzt worden war. Oder vielleicht gar noch Schlimmeres?

Obwohl es schon ziemlich spät war, rannte er zu seinem Auto und kämpfte sich noch einmal durch den immer noch dichten Verkehr. In der Nähe der Mainstraße hatte die Polizei nach wie vor alles abgesperrt, sodass mit dem Auto kein Durchkommen war. Juri Krasnikov parkte den Wagen deshalb in einer etwas entfernten Nebenstraße und versuchte, zu Fuß zum Wohnhaus von Loreen zu laufen. Doch auch so war es nicht möglich, an den Polizeibeamten vorbeizukommen, die die Straßen komplett abgesperrt hatten.

»Meine Freundin wohnt in diesem Haus da ...«, beteuerte Juri und versuchte, trotzdem an dem Beamten vorbeizukommen. Doch der ließ sich nicht erweichen, sondern verwies ihn an die Einsatzleitung.

»Sie können jetzt nicht hier herein! Erstens ist es viel zu gefährlich und außerdem würden sie nur die Einsatzkräfte behindern. Wenden sie sich an die Kollegen da drüben, die werden ihre Daten aufnehmen und alles Weitere klären.«

»Aber ich muss ...«, widersprach Juri kopfschüttelnd, wurde aber sofort wieder von dem Polizisten unterbrochen.

»Sie müssen da rüber gehen und mit den Kollegen sprechen, okay? Hier kommt außer Feuerwehr und Polizei jedenfalls keiner rein, auch sie nicht!«

Zornig über den Starrsinn des Polizisten, lief Juri zurück zum Auto und holte seinen Rucksack, in dem sich sein Tablet-PC und noch ein paar andere Utensilien befanden, und verschwand in der Dunkelheit eines der Hinterhöfe. Durch den Hausflur des Gebäudes und von dort durch einen angrenzenden Garten und weiter durch den Hof eines weiteren Hauses war Juri schließlich auf die Mainstraße gelangt.

Dass die Türen der Häuser eigentlich verschlossen waren, stellte ihn vor keine allzu großen Herausforderungen. Mithilfe seines Computers und einem kleinen Programm dauerte es meist nur ein paar Sekunden oder im schlimmsten Fall Minuten, bis der Türöffner schnurrte und Juri freien Zugang hatte.

Als er endlich vor dem Haus ankam, in dem Loreen wohnte - oder richtiger - gewohnt hatte, herrschte dort ein wildes Durcheinander. Mehrere Feuerwehrfahrzeuge blockierten fast die ganze Straße. Überall lagen prall gefüllte Schläuche herum, die von den Einsatzwagen und zahlreichen Hydranten in das Haus führten.

Die Löscharbeiten schienen inzwischen allerdings fast abgeschlossen zu sein. Noch immer stieg etwas Dampf und Rauch auf, aber die Feuerwehr hatte die Situation inzwischen völlig im Griff.

Juri lief von Rettungswagen zu Rettungswagen, um zu sehen, ob sich in einem davon Loreen befand. In mehreren der Wagen wurden Feuerwehrmänner versorgt, die kleinere Verletzungen während des Einsatzes abbekommen hatten. Dann wurden plötzlich zwei Personen auf Tragen aus dem Gebäude herausgebracht und sofort mit Blaulicht abtransportiert. Soweit Juri es aber erkennen konnte, war unter ihnen auf jeden Fall nicht Loreen. Nach und nach wurde es dann auch ruhiger, bis schließlich die Meisten der Einsatzfahrzeuge wegfuhren.

Es war bereits weit nach Mitternacht, als auch Juri den Unglücksort verließ und wieder zu seinem Auto zurück lief, ohne zu wissen, was nun wirklich mit Loreen los war. Die Polizisten, die noch immer die Straße absperrten, schauten ihn zwar etwas komisch an, aber er lief weiter, so schnell er konnte, um nicht zu riskieren, dass sie ihm womöglich Ärger machen würden.

In seinem Kopf drehte sich alles nur um Loreen. Vielleicht war sie schon zu irgendeinem Krankenhaus gebracht worden, bevor er hier war? Doch das herauszufinden, würde für ihn nicht allzu schwierig sein. Die Computer der Krankenhäuser waren nicht allzu gut gesichert. Schon gar nicht für so jemanden wie Juri!

Zu Hause angekommen machte er sich sofort daran, sich den Zugang zu den Patientenlisten zu verschaffen. Doch brauchbare Hinweise auf Loreen fand er darin nicht. Nur zwei Unbekannte im Uniklinikum in Eppendorf - ein Mann und eine Frau, die mit akuter Rauchvergiftung eingeliefert worden waren - passten zu dem, was er suchte.



München - Donnerstag, morgens

Schon seit reichlich einer Stunde saß Gottfried Mohler an seinem Schreibtisch und brütete über den persönlichen Sachen des Chaosfahrers von gestern, der die halbe Einkaufsstraße in Schutt und Asche gelegt hatte. Wie durch ein Wunder war kein Passant dabei ernsthaft zu Schaden gekommen. Ein paar Schürf- oder Schnittwunden, Prellungen und ein gebrochener Arm - das war alles gewesen. Und dabei hätte es durchaus auch deutlich anders ausgehen können.

Das Handy des Fahrers war schließlich doch noch gefunden worden. Allerdings hatte es über längere Zeit im Wasser gelegen und war demzufolge nicht mehr funktionsfähig. Doch die Kollegen des Elektroniklabors waren guter Dinge, zumindest herausfinden zu können, mit wem er als Letztes telefoniert hatte. Mohler wartete bereits seit dreißig Minuten auf eine Antwort von ihnen. Genervt davon, dass das so lange dauerte, griff er zum Telefonhörer, um im Labor anzurufen.

»Mohler. Ich wollte nachfragen ob ... Wie? Sie haben erst noch etwas anderes zu tun? Ich brauche die Infos so schnell wie möglich! ... Nein, das ist mir völlig egal! ... Nein! Nein! Sie kümmern sich jetzt sofort um das Handy! In zehn Minuten will ich die Ergebnisse auf meinem Tisch haben!«

Wütend krachte er den Hörer auf den Apparat.

Der Inhalt des Portemonnaies des Autofahrers lag vor Mohler auf dem Tisch und der Hauptkommissar untersuchte weiter den Pass, Kreditkarten und die sonstigen Papiere, die sich darin befunden hatten. Paolo Salvadore Cerventino - das war der Name des Fahrers. Es war also ein Italiener und laut seinen Papieren kam er aus Neapel.

'Auch das noch, ein Ausländer ...', ging es Mohler durch den Sinn. In Gedanken sah er schon Berge von Problemen, die auf ihn zukommen würden: für jedes Stückchen Text einen Übersetzer, ausländische Beamte, die nicht kooperieren wollten, Zuständigkeitsgerangel und so weiter. Wahrscheinlich würde er den Täter noch nicht einmal ohne Dolmetscher vernehmen können.

Einige Minuten später trat eine junge Polizistin mit einer dünnen Mappe und einer Plastiktüte, in der sich das Handy befand, an seinen Schreibtisch.

»Das soll ich ihnen vorbeibringen. Aus dem E-Labor.«

Mohler nickte nur kurz und nahm die Dinge schweigend entgegen. In der Mappe befand sich ein zweiseitiges Protokoll. Viel hatten die Kollegen nicht herausbekommen, da das Telefon aufgrund des Wasserschadens keinerlei Funktion mehr zeigte. Die SIM-Karte war jedoch erwartungsgemäß noch intakt und auf dem Protokoll stand ein Vermerk, dass der Provider kontaktiert war und Vertragsinfos und Verbindungsdaten bereits angefordert waren. Doch das würde sicher Stunden, wenn nicht sogar Tage, dauern.

Mohler legte das Telefon mit den anderen Sachen in eine Kiste und ließ es einschließen. Dann machte er sich auf den Weg ins Krankenhaus, um zu schauen, ob aus diesem Cerventino etwas herauszubekommen sei.

Gerade, als er sein Büro verließ, kam Albert Schulze ins Revier geschlendert, als sei er bei einem entspannten Spaziergang.

»Schön, dass der Herr Schulze auch die Zeit gefunden hat, mal wieder hereinzuschauen«, schnauzte ihn Mohler an, der noch immer stinksauer auf seinen Praktikanten war. Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Mohler gleich nach, »Sie gehen heute mit Hinze und Petrowski. Ich kann ihren sprühenden Eifer derzeit nicht gebrauchen.«

»Muss das sein?«, protestierten die beiden Kollegen sofort, doch Mohler winkte nur ab.

»Finden sie heraus, ob irgendetwas Auffälliges im oder am Auto zu finden ist. Ich will wissen, ob daran vielleicht herummanipuliert worden ist.«

»Was soll da schon sein? Es ist doch alles klar! Der Typ war bestimmt besoffen oder mit Drogen zugedröhnt. Das ist doch bloß Zeitverschwendung! Und außerdem werden die Gutachter das Protokoll sowieso hierher schicken, wenn sie fertig sind«, widersprach Petrowski, ein etwa vierzig-jähriger, extrem schlanker Mann mit halblangen, grau-braunen Haaren und Dreitagebart. Auf der Nase trug er eine silberne Brille mit kleinen, runden Gläsern. In seiner Aussprache war ein leichter slawischer Akzent zu hören. Sein Partner, Harald Hinze, nickte nur zustimmend, sagte aber nichts. Er war etwas kleiner als Petrowski. Seine ganze äußere Erscheinung war maximal unauffällig. Die Haare waren ordentlich, aber nicht übertrieben exakt gekämmt. Auch seine Kleidung war einfach nur gewöhnlich, aber auch nicht unmodern. Ohne Polizeimarke würde er ganz bestimmt niemals als ein solcher erkannt werden.

»Das wissen wir jetzt noch nicht! Genau darum will ich die Ergebnisse auch so schnell wie möglich haben. Klar?«, widersprach Mohler in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, »Und deshalb werden wir, also sie beide, es vorschriftsmäßig überprüfen!«

Nur halb motiviert, aber nicht willens, sich mit ihrem Chef auseinanderzusetzen, liefen Petrowski und Hinze los. Albert Schulze, der bei der ganzen Diskussion völlig teilnahmslos herumgestanden hatte, machte keine Anstalten, den Zweien zu folgen.

»Vergesst Schulze nicht, der will von euch noch was lernen. Aber ... passt auf, dass er nichts anfasst und kaputtmacht. Oder, dass er unterwegs einschläft!«

Das ganze Revier schüttelte sich vor Lachen. Keiner schien Mitleid mit dem Praktikanten zu haben, den ihr Chef vom großen Chef als Assistent ganz unfreiwillig aufs Auge gedrückt bekommen hatte. Mit zornigem Gesichtsausdruck trottete Schulze den zwei Polizisten hinterher, ohne aber etwas zu erwidern.



Hamburg - Donnerstag, morgens

Die Spurensicherung und die Brandexperten hatten die Untersuchung der ausgebrannten Wohnung noch in der Nacht weitgehend abgeschlossen. Spuren wie Brandbeschleuniger oder Ähnliches, die auf eine Brandstiftung hindeuteten, waren dabei allerdings nicht gefunden worden. Unklar geblieben war jedoch die eigentliche Ursache des Feuers. Den Analysen zufolge hätte es im Wohnzimmer und in der Küche nahezu gleichzeitig ausgebrochen sein müssen. Die elektrischen Heizelemente, die man im Fußboden und in der Wand verbaut hatte, waren völlig zerstört. Möglicherweise handelte es sich dabei ja um die Auslöser des Brandes. Doch das konnte nur durch eine eingehendere Analyse im Labor herausgefunden werden.

Ungeklärt war auch noch immer die Identität der zwei zwielichtigen Gestalten, die in der Anwaltskanzlei in der Etage darüber mit Rauchvergiftung und Verbrennungen aufgefunden worden waren. Ob sie etwas mit dem Feuer zu tun hatten oder nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren, würde noch aufzuklären sein.

Gert Mayer-Schaumberg war gerade auf dem Weg ins Universitätskrankenhaus nach Eppendorf. Bevor er sich ein Urteil bilden konnte, wollte er erst die Zwei verhören. Da er aus dem Krankenhaus die Information erhalten hatte, dass beide jetzt wieder bei Bewusstsein wären und zumindest kurz befragt werden könnten, hatte er sich mit Julia Schröder, einer engagierten jungen Kollegin, auf den Weg gemacht. Julia strahlte über ihr ganzes Gesicht, als der Chef sie, die Jüngste in der Abteilung, auswählte, um ihn zu begleiten.

Der Verkehr war wieder einmal unerträglich und Mayer-Schaumberg hatte fast das Gefühl, dass sich die Ampelschaltung der Hansestadt gegen ihn verschworen hatte, da es wirklich keine einzige Ampel gab, die nicht kurz vor ihm auf Rot umschaltete. Nur an einer Kreuzung leuchtete ihm kein rotes Licht entgegen. Das lag aber auch nur daran, dass dort die Ampel ganz ausgefallen war. Und gerade hier kamen sie aus einer Nebenstraße, sodass es ewig dauerte, bis sie endlich weiterfahren konnten. Mehrmals hatte es ihm in der Hand gezuckt, das mobile Blaulicht aufs Dach zu heften und einen Notfall vorzutäuschen. Doch das verstieß ganz klar gegen die Vorschriften und mit der jungen Kollegin auf dem Beifahrersitz musste er als Chef natürlich Vorbild sein und sich an die Regeln halten.

Schließlich erreichten sie das Krankenhaus. Eine Horde Biker mit laut knatternden Motorrädern kam ihnen in der Zufahrt zum Parkplatz entgegen, sodass Mayer-Schaumberg erst einmal mit seinem Auto an den Rand fahren musste. Er wollte nicht riskieren, den einen oder anderen Lackschaden abzubekommen, da die Motorradgang mit ihren Harleys keinerlei Anstalten machte, so weit zur Seite zu fahren, dass er mit seinem Wagen hätte vorbeikommen können.

Endlich am Eingang angekommen, liefen die zwei Beamten sofort zur Intensivstation, wo die Verdächtigen versorgt wurden. Doch schon auf halbem Weg kamen ihnen die zwei Polizisten entgegen gerannt, die Mayer-Schaumberg zur Bewachung eingeteilt hatte. Ali Murrat lief Blut über das Gesicht, das von einer Platzwunde an der Stirn kam. Julia, die direkt neben dem Hauptkommissar lief, stockte bei dem Anblick und ihre Gesichtszüge froren ein.

»Alles halb so wild«, besänftigte Murrat, als er sie und auch den fragenden Blick seines Chefs bemerkte, »Da waren auf einmal zehn, zwanzig von diesen Typen und wollten die Zwei einfach mitnehmen. Ich hab zwar versucht, sie daran zu hindern, doch dann habe ich einen drübergezogen bekommen ...«

»Und wo waren sie in der Zwischenzeit?«, wollte Mayer-Schaumberg von dem anderen Beamten wissen.

»Ich ... ähh ... ich habe ... ich war ...«, stotterte Karl Fischer los und bekam einen feuerroten Kopf.

»Was jetzt?«, wurde der Hauptkommissar ungeduldig.

»Es war ja eigentlich alles ganz ruhig. Karl war gerade losgegangen, um von den Schwestern etwas Kaffee zu organisieren. Schließlich mussten wir schon die ganze Nacht wach bleiben und die Ablösung ist immer noch nicht da«, verteidigte Murrat seinen Kollegen.

»War das so?«, hakte Mayer-Schaumberg noch einmal nach und Fischer nickte einfach nur schweigend.

»Das waren ganz sicher die Biker, die vorhin gerade an uns vorbeigefahren sind«, warf nun Julia Schröder ein, die bisher etwas geistesabwesend dagestanden hatte.

»Wir müssen denen sofort hinterher! Die bekommen wir noch!«, setzte Murrat fort und war, dicht gefolgt von seinem Kollegen und Julia schon einen Treppenabsatz tiefer, bevor Mayer-Schaumberg überhaupt reagieren konnte.

Unterdessen wurde es im Gang hinter ihnen laut. Eine aufgeregte Schwester, ein junger Assistenzarzt und zwei Wachmänner des Klinikums kamen laut diskutierend auf den Polizisten zugelaufen. Dabei zeigte die Schwester immer wieder mit ihrer Hand in seine Richtung. Der Hauptkommissar, der als Einziger noch im Gang stand, hörte das Gespräch mit.

»... sind einfach so hereinspaziert, haben den einen Polizisten zusammengeschlagen und sind dann mit den Patienten ver ...«

»Hauptkommissar Gert Mayer-Schaumberg von der Kripo Hamburg«, unterbrach der Polizist den Redefluss der Schwester, als sie an ihm vorbeilaufen wollten, und hielt ihnen seinen Polizeiausweis unter die Nase. »Wir kümmern uns bereits darum. In Ordnung? Es wäre ganz wichtig, wenn wir ihnen dann gleich noch ein paar Fragen stellen können. Ja?«

Etwas überrumpelt und nicht gerade freundlich schaute ihn die Schwester an. Doch er ließ sich davon nicht irritieren.

»Gehen sie bitte zurück auf ihre Station, es kommt gleich jemand vorbei«, forderte er sie noch einmal unmissverständlich auf.

Schließlich folgte er seinen Kollegen nach draußen zu den Autos. Unterwegs rief er vom Handy aus im Revier an, um Verstärkung anzufordern. Als er draußen bei seinem Auto ankam, stand Julia fassungslos daneben und starrte auf die Reifen. Breite Schlitze klafften in den Seiten.

»Irgendwer hat die Reifen zerstochen«, entrüstete sich die junge Polizistin.

»Das seh ich auch«, antwortete Mayer-Schaumberg äußerlich ruhig, obwohl es in ihm regelrecht brodelte. Im gleichen Moment kam Karl Fischer angelaufen.

»Bei uns auch. Da hat jemand wohl ganze Arbeit geleistet.«

Der Hauptkommissar nickte nur kurz und fragte dann, »Und wo ist jetzt Murrat?«

Noch während er redete, kam ein Motorradfahrer ohne Helm auf einem Roller um die Ecke geschossen und fuhr in die Richtung davon, in der die Motorradgang verschwunden war.

»Ali ...«, rutschte es Fischer über die Lippen.

»Murrat! Lassen sie gut sein ...«, rief ihm auch Mayer-Schaumberg noch hinterher, ohne dass der junge Polizist jedoch darauf reagierte.

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